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DER 28. AUGUST: 80 JAHRE
DANACH
WELCHE BEDEUTUNG HAT DIESES DATUM NOCH FÜR UNS?
Im kollektiven Gedächtnis jeder sozialen, nationalen oder religiösen
Gemeinschaft werden nur solche geschichtlichen Ereignisse verankert, die
von der Mehrheit des jeweiligen Kollektivs unmittelbar miterlebt wurden
und die Existenz und das Bewusstsein der nachfolgenden Generationen
entschieden beeinflusst haben. Einen zentralen Platz nimmt hier der
sowjetische Regierungserlass vom 28. August 1941 ein.
Zum einen bildet er den Höhepunkt einer seit der bolschewistischen
Machtergreifung 1917 sich abzeichnenden Entwicklung, die von Hungersnöten,
rabiatem Religionsverbot, Enteignungen und blankem Terror gegen breite Schichten
der sowjetischen und vor allem der deutschen Bevölkerung geprägt war. Zum
anderen stellt dieser Erlass den Auftakt zu einer umfassenden Repressionswelle dar,
die diesmal die gesamte nationale Gruppe betraf. Die antideutsche Politik des
Sowjetstaates hatte Deportation, Zwangsarbeit und das Leben in Sondersiedlungen
zur Folge. Bis zum Ende der kommunistischen Herrschaft galten die Deutschen in
der UdSSR als Personen minderen Rechts und mussten zahlreiche Diskriminierungen
über sich ergehen lassen.
Die unmittelbaren Folgen dieses Regierungserlasses waren gravierend und vielfältig.
Zwei davon möchten wir hier hervorheben. Nach der Einwanderung der deutschen
Ansiedler im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich in Russland nach und nach
ein neues nationales Selbstverständnis, das bis in die 1930er-Jahre hinein
ausgeprägt regionale Züge trug: man nannte sich Wolgadeutsche, Ukraine- und
Krimdeutsche (bzw. Schwarzmeerdeutsche), Wolhyniendeutsche oder
Kaukasusdeutsche. Erst die allumfassende Verfolgung und Entrechtung ab 1941
führte zur Entstehung einer übergreifenden, über alle geografischen,
konfessionellen und ideologischen Schranken hinweggehenden
Schicksalsgemeinschaft, die heute den Namen „Russlanddeutsche“ trägt.
Eine weitere Folge des Erlasses vom 28. August 1941 besteht darin, dass sich die
überwiegende Mehrheit der Betroffenen und deren Nachkommen nun in ihrer
historischen Heimat Deutschland wiederfindet. Die massenhafte „Rückwanderung“
war im Wesentlichen eine Reaktion auf die hartnäckige Verweigerung der
vollständigen Rehabilitation, auf die ausgebliebene substanzielle Wiedergutmachung
und auf den halbherzigen Bruch mit stalinistischen Systemstrukturen sowohl in der
einstigen UdSSR als auch im heutigen Russland.
Wenn wir uns an dieses traurige Ereignis vor 80 Jahren erinnern, erfüllt es uns vor
allem mit Trauer, jedoch gleichzeitig mit Stolz und Zuversicht. Dieses Gedenken ist
nicht lähmender, sondern vielmehr lebensbejahender und zukunftsweisender Natur.
Wir trauern um die unschuldigen Opfer staatlicher Willkür: jeder russlanddeutsche
Familienverband blickt auf eine lange Liste verhungerter, enteigneter, deportierter,
zur Zwangsarbeit ausgehobener, strafrechtlich verurteilter oder ermordeter
Familienmitglieder zurück. Stolz sind wir auf die Erlebnisgeneration: Obwohl ihre
Vertreter gravierenden Entbehrungen und Verfolgungen ausgesetzt waren, ließen
sie sich nicht entmutigen und schlugen sich letztendlich durch. Daraus resultiert
eine Zukunftsbotschaft für die Nachfahren, dass auch sie – diesmal unter wesentlich
günstigeren politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen – imstande sind, die aktuellen
und kommenden Herausforderungen zu meistern. Ein derartiges kollektives
Gedächtnis stiftet positive Identität und Selbstvertrauen, stärkt den Gemeinsinn.
Die Erinnerungskultur der russlanddeutschen Bundesbürger unterscheidet sich stark
von den in Deutschland, aber auch von den in Russland herrschenden
Geschichtsbildern: hier stehen die Verbrechen des Stalinismus im Zentrum der
Betrachtung, hier wird an die unzähligen Opfer der staatlichen Willkür in der Eltern-
bzw. der Groß- und Urgroßeltern-Generation gedacht. Diese Besonderheit der
historischen Erfahrungen trägt zur Pluralisierung der deutschen
Erinnerungslandschaft bei. Gleichzeitig müssen sowohl die Mehrheitsgesellschaft als
auch die Bürgerinnen und Bürger mit russlanddeutschem Hintergrund lernen, die
Erinnerungs- und Gedächtniskultur des jeweils anderen zu verstehen, zu achten und
zu respektieren. In dieser Hinsicht ist noch viel Aufklärungsarbeit vonnöten.
Das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland zählt aus diesem Anlass
zu einer seiner wichtigsten Aufgaben, in diesem Bereich verstärkt historische
Bildungsarbeit und Geschichtsvermittlung für alle Bevölkerungsschichten in
Deutschland und im Ausland zu leisten.
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31.08.2021
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